Die etwas andere Renaissance. Die Zeit Heinrich Isaacs im Spiegel der Oper des 19. Jahrhunderts (Sebastian Bolz, Universität München)

Auf der Bühne des ausgehenden 19. Jahrhunderts erlebte die Renaissance ihre eigene Wiedergeburt. Historische Zeitgenossen Heinrich Isaacs wie Kaiser Maximilian I. wurden zu Protagonisten von Opernhandlungen. Bezüge zur Gegenwart blieben dabei freilich stets gewahrt: Im Modus der Festoper versicherte man sich mit Hilfe der historischen Referenz der eigenen glanzvollen Vergangenheit und setzte sich – notfalls auch im Widerspruch zu historischen Tatsachen – in Herrscher- und Kulturtraditionen.
Welchen Stellenwert und welche Funktion diese Rückgriffe auf die Zeit um 1500 besaßen, will dieser Vortrag zeigen. Ludwig Thuilles Oper Theuerdank (1897) und August Bungerts Festspiel mit Musik Hutten und Sickingen (1889) bilden dabei nicht nur Beispiele für die Selbstverortung innerhalb kultureller Traditionen; die Umstände ihrer Aufführung sowie ihre Aufnahme beim Publikum erlauben zudem Einblicke in das Geschichtsbewusstsein und die Vorstellungen vom 16. Jahrhundert. Sie lassen ein Spannungsverhältnis zu Tage treten zwischen »invention of tradition« (Hobsbawm/Ranger) und dem Postulat einer Geschichtsschreibung, die zeigen soll, »wie es eigentlich gewesen ist« (Leopold v. Ranke). Sie lassen aber auch die Frage aufkommen, ob und inwiefern die Musik Heinrich Isaacs und seiner Zeitgenossen als Klangraum einer Epoche für eine Renaissance auf der Opernbühne herangezogen wurde.


Die Musik Heinrich Isaacs in süddeutschen Stiften und Klöstern
(Barbara Eichner, Oxford Brookes University)

Obwohl Heinrich Isaac bereits 1517 in Florenz starb, lebte seine Musik nördlich der Alpen noch bis ins späte 16. Jahrhundert weiter. Besonders seine mehrstimmigen Proprien erfreuten sich nach ihrer Drucklegung unter dem Titel Choralis Constantinus (Nürnberg 1550 bzw. 1555) großer Beliebtheit und wurden in zahlreichen Klöstern Süddeutschlands und des Habsburgerreichs gesungen. Dies belegen noch vorhandene Musikhandschriften und Drucke aus dem Besitz der Benediktiner in Augsburg, Ottobeuren und Kremsmünster, oder aus den Chorherrenstiften Klosterneuburg und Seckau. Der Vortrag versucht zu ergründen, wie und warum sich dieses eher »altmodische« Repertoire trotz des nach Isaacs Tod einsetzenden Stilwandels und über die liturgischen Reformen des Konzils von Trient hinaus gerade in Klöstern so hartnäckig im (fest)täglichen Gebrauch halten konnte. Dies läßt sich besonders gut anhand eines Chorbuchs zeigen, das ursprünglich aus der Benediktinerabtei Neresheim in Schwaben stammt und sich heute in der Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek in Regensburg befindet.


Heinrich Isaacs Texte (Wolfgang Horn, Universität Regensburg)

Es mag wenig verlockend erscheinen, einen Komponisten wie Heinrich primär von der Seite der Texte her zu betrachten, die er in polyphone Musik gesetzt hat. Insbesondere im Bereich der geistlichen Musik mit ihren lateinischen Texten war der Spielraum für individuelle Textwahl aufgrund von liturgischen Vorgaben und anderen Konventionen naturgemäß sehr gering. Und doch dürfte es gerade im Rahmen der Stimmwerck-Tage nützlich und sinnvoll sein, diese scheinbar so selbstverständlichen und in der Regel als gegeben hingenommenen Texte selbst zum Thema zu machen. Denn auch vorgeschriebene Texte bergen ein Potential, das der musikalischen Realisierung offen steht. Richtet man den Blick aber über die lateinisch textierte Musik hinaus, so wird sich eine reizvolle Vielfalt zeigen. Denn in den volkssprachlichen Texten wird eine Welt sichtbar, die uns im Medium der Sprache wesentlich »eigen-artiger« erscheinen kann als im scheinbar epochenüberspringenden Medium der wohlklingenden Musik.


Innsbruck und der deutsche Wald – Konzepte von Region und Nation im Lied des 15. und 16. Jahrhunderts (Moritz Kelber, Universität Augsburg)

Es ist unter anderem das Lied Innsbruck ich muss Dich lassen, dem Heinrich Isaac heute seine Berühmtheit verdankt. Schon im 19. Jahrhundert erlebte dieser und andere Sätze aus der Zeit des Komponisten eine regelrechte Renaissance. Um in ein vom aufkeimenden Nationalismus geprägtes Geschichtsinteresse zu passen, wurde Isaac ganz selbst-verständlich eingebürgert und zum wichtigsten »Deutschen Kontrapunktist[en]« des 15. Jahrhunderts ernannt.
Dieser Vortrag sucht nach den Anknüpfungspunkten, die nationalistisch geprägte Gruppierungen wie beispielsweise die Wandervogelbewegung in den Liedern der Musiker der Hofkapelle Kaiser Maximilians I. finden konnten. Die humanistischen Konzepte rund um den »deutschen Erzhumanisten« Conrad Celtis, die sich im deutschen Lied der Zeit widerspiegeln, weisen dabei eine bemerkenswerte Nähe zu einer verklärenden spätromantischen Naturverbundenheit auf. Das Referat beleuchtet die verschiedenen Ideen von Region und Nation und zeigt Motivationen sowie mögliche Missverständnisse in der modernen Rezeption der Lieder Heinrich Isaacs und seiner Zeitgenossen auf.


Heinrich Isaacs Missa Virgo prudentissima auf dem Reichstag zu Konstanz
(Franz Körndle, Universität Augsburg)

Sowohl die Motette Virgo prudentissima als auch die gleichnamige Messe schuf Heinrich Isaac für den Reichstag zu Konstanz im Jahr 1507. König Maximilian I. ließ sich dort von den Reichsfürsten die Pläne für einen Italienzug genehmigen, denn er wollte vom Papst zum Kaiser gekrönt werden. An signifikanter Stelle während des Reichstages hielt man ein Requiem für den verstorbenen Sohn Maximilians, Philipp d. Schönen, ab, woran sich eine Marienmesse anschloss. Nach Ende dieses Gottesdienstes wurde das Reichsbanner aufgeworfen, und die Verhandlungen begannen. Über das Ereignis berichten insgesamt vier Chroniken im Detail und sprechen von einem beeindruckenden Auftritt der königlichen Kantorei und den Instrumentisten.


Isaac in Regensburg? Vier dreistimmige Messen in den Stimmbüchern der Bischöflichen Zentralbibliothek B 216-219 (Christian Leitmeir, Oxford University)

Die Stimmbücher B 216-219 der Bischöflichen Zentralbibliothek beschäftigten die Isaac-Forschung bislang nur am Rande. Neben einer dreistimmigen Marienmesse, die dem Komponisten explizit zugeschrieben ist, finden sich darin außerdem noch drei Werke, für die wenigstens zwischenzeitlich seine Autorschaft erwogen wurde (Missa Paschale, Missa Sollene eiusdem, Missa Summum eiusdem).
Seit Staehelins grundlegender Studie zu Isaacs Messen sind letztere aus dem Werkkanon verschwunden. Obwohl Staehelin zufolge die Missa de Beata Virgine, die um das mehrstimmige Proprium erweitert auch in einer Handschrift der Münchner Hofkapelle vorliegt (München, Bayerische Staatsbibliothek, Mus.ms. 19) aus der Feder des Meisters stammen könnte, fand sie in den jüngeren Aufsätzen zu Isaacs Marienmessen (Burn, Wiesenfeldt) nur am Rande am Erwähnung.
Die Stimmwercktage bieten eine willkommene Gelegenheit, diesen lokal überlieferten Werkbestand vorzustellen und die Frage zu untersuchen, von wem, aus welchen Gründen und in welchem Zusammenhang die Zuschreibungen an Isaac vorgenommen wurden.


A day in the life of Maximilian’s Hofkapelle (Grantley McDonald, Univeristät Wien)

The Hofkapelle of Maximilian I was famously mobile, and as a consequence information about its activities is strewn across Europe from Bruges to Prague. However, this widely distributed information also betrays tantalizing hints about the stresses of everyday life in Maximilian’s Hofkapelle, brought about by the burden of travel and the protocol of a court that could barely afford to live up to its pretensions of grandeur. This paper seeks to give an impression of what life was like for the élite musicians who provided the musical backdrop for the court of the last emperor of the middle ages, and the first of the modern era.


»Und du, — ‚Tedesc‘ Enrico‘ nannt‘ ich dich so gern!« Heinrich Isaac und die Musik Zentraleuropas. (Bernhold Schmid, Bayerische Akademie der Wissenschaften)

Der aus Flandern stammende Heinrich Isaac war seit 1497 als Hofkomponist in Diensten Kaiser Maximilians I. Dass er mit seiner Musik maßgeblichen Einfluss auf zentraleuropäische Musiker ausübte, ist bekannt; so war etwa der erste aus dem deutschsprachigen Raum stammende Komponist von europäischem Rang Ludwig Senfl ein Schüler Isaacs. Umgekehrt aber griff Isaac selber in Zentraleuropa entstandene Musik auf und schuf eigene Werke darüber. So komponierte er das Gloria einer seiner Marienmessen über eine in deutschen Quellen seit dem frühen 15. und bis weit ins 16. Jahrhundert hinein verbreitete einstimmige Melodie, außerdem schrieb er eine Messe über den Kanon Presulem ephebeatum des aus Schlesien stammenden Komponisten Petrus Wilhelmi de Grudencz.