Titelblatt des Bildanhangs zum zweiten Band des Syntagma Musicum

Das Syntagma musicum trägt den Namen und nicht zuletzt den Ruf Michael Praetorius über die Jahrhunderte. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine zentrale Sammlung musikalischer Werke, wie sie das Bild manches anderen Komponisten der Zeit in der Nachwelt bis heute prägt (man denke an Giulio Caccinis Le Nouve Musiche oder Claudio Monteverdis L’Orfeo). Tatsächlich stellt das Syntagma Musicum eine der umfangreichsten enzyklopädischen Abhandlungen über Musik im 17. Jahrhundert dar und hatte zum Zeitpunkt seines Erscheinens (Erster Band 1614/15, zweiter und dritter Band 1619) nicht seinesgleichen. Regelmäßig heben Musikschriftsteller und Lexikographen den Stellenwert dieser Publikation im Gesamtschaffen des Praetorius hervor. Eine Bücherschau in einschlägigen historischen Lexika veranschaulicht, wie sehr das Praetoriusbild seit etwa 1700 von seinem theoretischen Hauptwerk geprägt war.

Wolfgang Caspar Prinz äußert in seiner Historischen Beschreibung der edelen Sing- und Klingkunst von 1690, Michael Praetorius habe „einen unsterblichen Ruhm erworben, indem er sein berühmtes[!] und Lobwürdiges Syntagma Musicum heraus gegeben.“ Als Komponist „[sehr vieler] sowohl teutscher Lieder als auch Moteten und Concerten“ erwähnt er ihn lediglich beiläufig (Prinz 1690 (1974), S. 134).

Johann Mattheson (1681–1764) geht in seinen Hauptschriften nur am Rande auf Praetorius ein, etwa als er einen historischen Abriss verschiedener Kompositionstechniken gibt. Durchaus bemerkenswert ist das Fehlen von Praetorius in Matthesons Komponistenlexikon Ehrenpforte, einem Tonkünsterlexikon mit dem Anspruch den „Tüchtigsten“ der Zunft angemessene Ehre zu Teil werden zu lassen.

In Johann Gottfried Walthers Musicalischem Lexicon von 1732 wird Praetorius ein ausführlicher Artikel zuteil. Nach Aufzählung biographischer Angaben findet sich ein Verzeichnis der gedruckten (also Walther zugänglichen) Werke – Standardverfahren bei Walther. Die darauf folgende Inhaltsangabe des Syntagma nimmt insgesamt mehr Raum ein als der gesamte Rest des Absatzes über Praetorius.

Johann Nikolaus Forkel, der berühmte Bach-Biograph und Musikhistoriker, erwähnt Praetorius überhaupt nicht. Seine Allgemeine Geschichte der Musik (Leipzig 1788–1801) reicht lediglich von den Anfängen der Musikgeschichte bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts und in seiner Veröffentlichung Musikalisch kritische Bibliothek (Gotha 1778/79) ist ihm mehr an der Darstellung zeitgenössischer Themen gelegen. So findet nicht einmal der heute ungleich berühmtere Heinrich Schütz Erwähnung.

Das Neue historisch-biographische Lexikon der Tonkünstler, entstanden zwischen 1812 und 1814, besinnt sich im Geiste eines aufkeimenden Historismus erneut auf die „praktischen Werke dieses würdigen Mannes“, und stützt sich dabei auf das von Praetorius selbst vorgelegte Werkverzeichnis im dritten Band des Syntagma Musicum (Gerber 1813, Sp. 758). Die erste Auflage, das „Alte“ Lexikon […] von 1792, hatte noch das Syntagma als zentralen Verdienst des Michael Praetorius hervorgehoben. Es druckte sogar eine detaillierte Inhaltsangabe aller drei Bände ab (Gerber 1792, Sp. 186–188). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich referiert das Musikalische Conversations-Lexikon (Erste Auflage, Band 8, 1877) Praetorius Leben in teils anekdotischer Weise. Auch hier steht das Syntagma Musicum an erster Stelle der nennenswerten Publikationen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden wir Praetorius im Kurzgefassten Tonkünstlerlexikon als „Bedeutenden Komponisten und Theoretiker“ mit dem Verweis auf seine „noch heute sehr wichtige Encyklopädie“ (Frank; Altmann 1934, S. 472) Syntagma Musicum und schließlich bemerkt Mosers Musiklexikon: „Fast noch wichtiger [denn als „ausserordentlich reger Komponist“] ist P. als Schriftsteller. Sein […] Syntagma musicum (1615–20) ist die größte Enzyklopädie der Tonkunst vor Mattheson“ (Moser 1955, S. 981 f.).

Jenseits der lexikalischen Literatur findet Michael Praetorius erst ab dem 19. Jahrhundert im größeren Maßstab Erwähnung, zunächst vor allem bezüglich des Generalbassunterrichtes an Konservatorien. Zunehmend findet Praetorius Eingang in nicht enzyklopädische Publikationen musikwissenschaftlicher bzw. musikhistorischer Art. Auch hier wird Praetorius Rolle vornehmlich als die eines theoretischen Vordenkers und Chronisten gesehen. Jedoch emanzipiert sich über die Jahrzehnte das Praetoriusbild vom Michael Praetorius des Syntagma Musicum: seine Kompositionen erfahren zunehmend Interesse in der Forschung. Oft lesen ihn die Forscher der jungen akademischen Disziplin Musikwissenschaft als Entwicklungsvorstufe der evangelischen Kirchenmusik im Geiste Schützens (vgl. Forchert 1962, Sp. 1564 f.).

Heute kennen wir Michael Praetorius vor allem als Autor des Liedsatzes Es ist ein Ros entsprungen. Die Praetorius-Diskographie ist dominiert von Aufnahmen weihnachtlicher Chormusik und von unzähligen Einspielungen mit Variationen des Titels Tänze aus Terpsichore. Nur am Rande stehen große mehrchörige Kompositionen, etwa aus den ersten Bänden der großangelegten Sammlung Musae Sioniae (1605–1610).

Spätestens mit dem Siegeszug der historisch informierten Aufführungspraxis ist Michael Praetorius wieder im Fokus vieler Musikschaffender. Für die Musiker selbst sind seine umfangreichen Sammeldrucke mit ihren Vorworten und Huldigungsgedichten willkommene Quellen sowohl dankbaren Repertoires wie auch aufführungspraktischer Impulse. Die Enzyklopädie Syntagma Musicum bietet interessierten Praktikern, Instrumentenbauern und Musikwissenschaftlern wertvolle historische Informationen und Vorlagen, Bau- und Spielweise historischer Instrumente nachzuvollziehen und so ein annähernd „historisches“ Klangbild zu rekonstruieren. So behält Mosers Musik-Lexikon nach wie vor Gültigkeit mit seinem Wort des „noch immer wichtigen Syntagma Musicum“ (Moser 1955).

Benedikt Holnaicher

Ausgewählte Literatur zu diesem Thema:

Wolfgang Caspar Prinz, Historische Beschreibung der edelen Sing und Klingkunst, Dresden 1690, Reprint, hrsg. von Othmar Wesseley, Graz 1964.

Johann Mattheson, Grundlage einer Ehrenpforte, Hamburg 1740.

Ernst Ludwig Gerber, Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler, Band 3, Leipzig 1813.

Ernst Ludwig Gerber, Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler, Band 2, Leipzig 1792.

August Reissmann (Hrsg.), „Praetorius, Michael“, in: Musicalisches Conversationslexicon, Band 8, Berlin 1877.

Paul Frank; Wilhelm Altmann (Hrsg.), „Praetorius“, in: Kurzgefasstes Tonkünstlerlexikon, Regensburg 1936.

Hans Joachim Moser, „Praetorius“, in: Musik Lexikon, Band 2, Hamburg 1955.

Arno Forchert, „Praetorius“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 1. Auflage, Band 10, Kassel u. a. 1962, Sp. 1564 ff.

Links zu den Originalausgaben des Syntagma Musicum:

Erster Band (Petrucci-Library imslp.org)

Zweiter Band (Petrucci-Library imslp.org)

Dritter Band (HAB-Wolfenbüttel)

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