Cosmè Tura, Die Muse Terpsichore, ca. 1450.

Terpsichore, die griechische Muse des Tanzes und eine von insgesamt neun mythologischen Schutzgöttinnen der Künste, ist die Namenspatronin von Michael Praetorius Sammlung französischer Tänze. Ursprünglich war die Terpsichore als fünfter Band einer neunteiligen Reihe mit Tanzmusik und weltlichen Liedern konzipiert, die den Titel Musae Aoniae tragen sollte. Andere Teilbände waren in Planung, so etwa die Euterpe mit englischen und italienischen Tänzen oder die Erato, eine Sammlung von deutschen Tänzen. Die Motivation für dieses umfangreiche Vorhaben erläutert Praetorius in der Einleitung zur Terpsichore. Zum einen hatte er das Bestreben, ein weltliches Gegenstück zu seiner bereits erschienenen Sammlung von Choralmotetten, den Musae Sioniae zu schaffen. Zum anderen handelte er im Auftrag „vornehmer Leute / [und auf] der Music Liebhaber / vielfeltige[r] ermanung [hin]“. Zu diesen Liebhabern gehörte zweifelsohne auch Friedrich Ulrich, der Herzog von Braunschweig-Lüneburg, dem er die Terpsichore widmete. Für die entstandenen Unkosten wurde der Komponist von dessen Vater, Heinrich Julius, mit einer stattlichen Summe von 2000 Talern entlohnt. Das große Ziel einer vollständigen Musae Aoniae-Reihe blieb jedoch unerreicht und die Terpsichore ist das einzige vollendete und veröffentlichte weltliche Werk von Praetorius. Wie aus dem umfangreichen Titel zu entnehmen ist, beinhaltet sie:

Allerley Frantzösische Däntze und Lieder / Als 21. Branslen: / 13. Däntze mit sonderbaren Namen. / 162. Couranten: / 48. Volten: / 37. Balletten: / 3. -Passameze: / 23. Galliarden: und / 4. Reprinsen. / Mit 4. 5. vnd 6. Stimmen.

Die den Tänzen zugrundeliegenden Melodien stammen zum Großteil von Antoine Emeraud. Der Tanzmeister von Friedrich Ulrich hatte – wie damals üblich – zu den von ihm choreografierten Tänzen kleine, meist einstimmige Stücke geschrieben. Es entsprach der gängigen Praxis des 17. Jahrhunderts, dass zu diesen Solostimmen die entsprechende Schrittfolge eingeübt wurde und erst im Rahmen von gemeinsamen Abenden, Hochzeiten oder anderen Festen, eine Gruppe von Musikern die Tänze mehrstimmig begleitete. Solche Anlässe boten die Möglichkeit, tänzerisches Können unter Beweis zu stellen und vor allem dem anderen Geschlecht näher zu kommen. Die Aufgabe von Praetorius bestand nun darin, zu den vorgegebenen Melodien eine Bassstimme sowie zwei bis drei Mittelstimmen zu schreiben. In einer Zeit, in der die Genieästhetik des 19. Jahrhunderts und Konzepte wie „geistiges Eigentum“ noch unbekannt waren, war es unwesentlich, dass Melodie- und Begleitstimmen von unterschiedlichen Personen komponiert wurden. Der Co-Autor Praetorius markierte die von ihm vervollständigten Sätze selbstbewusst mit seinem Kürzel M. P. C. Insgesamt 78 Stücke nahm er unverändert in die Terpsichore auf. Sie wurden von seinem Zeitgenossen, dem französischen Komponisten und Geiger Francisque Caroubel geschrieben und waren bereits vier- bis sechsstimmig ausharmonisiert. Praetorius versah sie mit dessen Initialen F. C., um ihren Ursprung zu kennzeichnen. Die letzte Gruppe von Stücken überschrieb er mit „Incerti“. Hier finden sich all die Stücke, bei denen die beiden Außenstimmen bereits existierten und nur die Mittelstimmen hinzugefügt werden mussten.

Die Bezeichnung „13. Däntze mit sonderbaren Namen“ bezieht sich auf Tanzformen, die sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Terpsichore im Jahr 1612 noch nicht fest im höfischen Tanzkanon etabliert hatten. Zu ihnen zählt Praetorius unter anderem die Sarabande und die Bourée. Hinsichtlich ihres Ambitus (Tonumfangs) waren die einzelnen Stimmen so angelegt, dass sie auf einer Vielzahl von Instrumenten gespielt werden konnten. Je nach Verfügbarkeit spielten häufig Streicher- bzw. Gambenconsorts, Alta-Ensembles mit Zinken, Posaunen, Flöten und Pauken. Da die einzelnen Tänze zumeist nur wenige Takte umfassen, wurden sie mehrmals wiederholt und dabei durch Tempo- und Dynamikwechsel sowie Änderungen der Instrumentierung variiert, sodass sie mal „still und heimblich“ mal „stark und lautklingend“ dargebracht wurden.

Den zahlreichen Noten der Sammlung sind kurze Definitionen und Erklärungen der Tänze und sogar Anweisungen zur Aufführung beigegeben. Zur Bransle Gay vermerkt Praetorius beispielsweise: „Ist ein frölicher Dantz: Denn Gay ist so viel als laetè: darumb wird er auch gleich wie ein proports und Tripel, oder ja auff ein gar geschwinden tactum aequalem mensurieret.“

Die Terpsichore ist mit ihrem umfassenden Informationsgehalt über die Tänze und Tanzgewohnheiten am Hofe von Heinrich Julius von großer musikgeschichtlicher Bedeutung. Kein anderes Werk dieser Zeit macht auf vergleichbare Art und Weise das Repertoire an Tanzmusik verfügbar.

Simona Brandebussemeyer

Ausgewählte Literatur zu diesem Thema:

Peter Holman, „Michael Praetorius as a Collector of Dance Music”, in: Michael Praetorius. Vermittler europäischer Musiktraditionen um 1600, hrsg. von Susanne Rode-Breymann und Arne Spohr, Hildesheim u. a. 2011, S. 145–166.

Michael Praetorius, Terpsichore, (=Gesamtausgabe der musikalischen Werke, Band 15, hrsg. von Friedrich Blume), Wolfenbüttel und Berlin 1929.

Hans Christoph Worbs, „Terpsichore“, in: Konzertführer Barock. Orchestermusik von A-Z, hrsg. von Wulf Konold und Eva Reisinger, Mainz 2006.

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