Lassos Musik in der Geschenkverpackung – Die Handschriften des Regensburger Benediktiners Ambrosius Mayrhofer (Barbara Eichner, Oxford Brookes University)

Trotz der Erfindung des Notendrucks um 1500 dienten Musikhandschriften im 16. Jahrhundert weiterhin als diplomatische Geschenke. Der besondere Arbeitsaufwand bei der Auswahl passender Stücke, beim Schreiben und Dekorieren der Handschrift wurde als eine besondere Geste geschätzt, die dazu beitrug, freundschaftliche Beziehungen zwischen Institutionen und Mäzenen zu etablieren und zu erhalten. Auch zwei von der Lassoforschung bisher kaum beachtete Handschriften sind in diesen Kontext einzuordnen: 1567 und 1568 widmete der Benediktinermönch Ambrosius Mayrhofer aus dem Regensburger Kloster St. Emmeram je eine Handschrift dem Rat der Stadt Regensburg und dem Augsburger Kloster St. Ulrich und Afra. Beide Codices enthalten vorwiegend Musik des bayerischen Hofkapellmeisters Orlando di Lasso.
Der Vortrag untersucht die Motivation von Mayrhofers Musikauswahl, seinen musikalischen Hintergrund und Ausbildung, den Herstellungsprozess der Handschriften und die Wahl der Widmungsträger. Besonders letztere wirft ein neues Licht auf das komplexe Netzwerk und das zerbrechliche diplomatische Gleichgewicht zwischen den katholischen Klöstern, den protestantischen Reichsstädten und dem bayerischen Hof.


Der schöne Schein des Gesamtkunstwerks – Zum Zusammenspiel von Bild, Text und Musik in den Bußpsalmen-Codices (Christian Leitmeir, University of Oxford)

Die vierbändige Realisierung der Busspsalmen (Bayerische Staatsbibliothek München, Mus. ms. A) gehört in ihrem Zusammenspiel von Bild, Text und Musik zu einem der ambitioniertesten Kulturprojekte Herzog Albrechts V. von Bayern. Der Humanist Samuel Quicchelberg (1529-1576) verfasste eine in zwei theologischen und ikonographischen Kommentarbänden über-lieferte allegorische Interpretation der Psalmen. Sein Programm, eine visuelle glossa ordinaria, wurde von Hans Müelich (1516-1572) ausgeführt. Der Maler bevölkerte den Rahmen um die Noten herum mit unzähligen biblischen und allegorischen Szenen. Hofkapellmeister Orlando di Lasso steuerte seine legendäre (mit magischen Kräften assoziierte) polyphone Psalmvertonung bei.
Angesichts des überwältigenden visuell-musikalischen Eindrucks neigte die Forschung dazu, die Münchner Bußpsalmen-Codices als „Gesamtkunstwerk“ zu deklarieren. Diese Auffassung perpetuiert zwar den Mythos dieser Quellen, bleibt aber in prekärer Weise auf der Oberfläche. Die Prachtbände waren keineswegs das Werk eines einzigen, alles überblickenden Masterminds, sondern erforderten die Zusammenarbeit von Künstlern, die zwar in ihrem eigenen Bereich die führenden Spezialisten waren, aber in den anderen beteiligten Medien nicht zwangsläufig über die gleiche Expertise verfügten. Gegen die Auffassung eines Gesamtkunstwerk „aus einem Guß“ spricht ferner die der langwierige Entstehungszeit, die nicht weniger als 13 Jahre umfaßte, sowie die Tatsache, daß einzelne Komponenten, die möglicherweise schon weit früher fertiggestellt wurden, später inkorporiert werden mußten. Eine detailliertere Untersuchung einzelner Aufschläge der Codices soll zeigen, inwieweit die Künstler versuchten, die verschiedenen Medien im Sinne eines Gesamtkunstwerks miteinander in Einklang zu bringen, und wo die Zusammenarbeit mehr in einem Patchwork einzelner Komponenten mündete.


Orlando di Lasso und Cipriano de Rore (Katelijne Schiltz, Universität Regensburg)

Im Zentrum des Vortrags stehen zwei Komponisten, die – jeder auf seine Art – am Hof der bayerischen Herzöge besondere Bedeutung erlangten. Während Lasso knapp vierzig Jahre in München tätig war, hatte Rore dort zwar nie eine Stelle inne – er hielt sich hauptsächlich in Italien (Ferrara, Venedig und Parma) auf –, aber aus mehreren Quellen geht hervor, dass seine Musik am Münchener Hof außerordentlich beliebt war. Den zweifellos beeindruckendsten Beweis für die herausragende Rolle der beiden frankoflämischen Komponisten liefern zwei Prachthandschriften, die Albrecht V. anfertigen ließ und die ausschließlich Lassos bzw. Rores Musik gewidmet sind (Bayerische Staatsbibliothek, Mus.ms. A und Mus.ms. B).
Doch was lässt sich darüber hinaus zu der Beziehung zwischen beiden Komponisten sagen? Inwieweit war Lasso mit der Musik seines älteren Kollegen vertraut und hat dies Spuren in seinem Oeuvre hinterlassen? Tatsächlich hat kein Komponist mehr Vorlagen für Lassos Parodiemessen und -magnificats geliefert hat als Rore. In diesem Vortrag sollen die musikalischen Verbindungen zwischen Lasso und Rore in den Blick genommen werden. Darüber hinaus wird es um die Frage gehen, welche Spuren ihre Beziehung in der Musikkultur am Münchener Hof, aber auch in der zeitgenössischen Dichtung und Malerei hinterlassen hat.


»Gaudeamus omnes« – Orlando di Lasso und die geistliche Parodie (Bernhold Schmid, Bayerische Akademie der Wissenschaften)

Orlando di Lassos Motette Nunc gaudere licet, ein möglicherweise zu Fasching entstandendes Trinklied, endet mit einem Text- und Melodiezitat von Gaudemus omnes, mit dem etliche Introiten beginnen. Das geistliche Gaudeamus omnes im weltlichen Zusammenhang zu zitieren hat im 16. Jahrhundert – und schon vorher – Tradition, wie bspw. Das Titelblatt von Sebastian Brants Narrenschiff zeigt. Das Referat versucht, Lassos Motette in einen größeren Kontext einzuordnen.


Kritik an Lasso – Lassos Kritiker (Moritz Kelber, Universität Augsburg)

Orlando di Lasso war eine Person des öffentlichen Lebens. Schon vor seinen Auftritten auf dem Reichstag 1566 in Augsburg und seiner Erhebung in den Adelsstand 1570 war er einer der prominentesten Musiker seiner Zeit. Die Lobeshymnen auf den bayerischen Hofmusiker und seine Kapelle sind ungezählt, doch ruft Erfolg auch immer Kritiker auf den Plan. Der oft als populärster Musiker seiner Zeit dargestellte Lasso wurde durchaus angegriffen und sogar zensiert.
Auch in der musikwissenschaftlichen Forschung zeichnet sich keine einheitliche Beurteilung von Lassos Schaffen ab. Oft wird sein Wirken am bayerischen Hof als ein in einer konservativen Kompositionsweise resultierender Abstieg in die nordalpine Provinz verstanden. Dieser Vortrag beschäftigt sich mit der Kritik an Lasso damals wie heute und beleuchtet Motive und Denkmodelle hinter der zeitgenössischen und der modernen Kritik am Komponisten.